Literarischer Schlothymnus aus Apulien…
Wen sehen wir denn da wieder? (…) Die Rauchfahne eines Fabrikschlots. Welch schöne Rauchfahne du hast, kleiner Gott der so genannten Industriegesellschaft, schön schmutzig weiß und dreckig, auch ein Streifen Rosa ist drin, ein schönes Blassrosa wie von einer Rose, die der Reif an einem Frühlingsmorgen gestreift hat, und blutrote Funken! Ich bitte Dich verrate mir deine Geheimnisse, du, der die Galaxien und Gestirne zum Zweikampf herausfordert, der die alten Karussellbesitzer kennt, die mit ihren blitzenden Peitschen Pferde aus Papiermaché dressieren!
Wie schön und stolz du bist, meine geliebte Rauchfahne, mit deinem Schwefelduft, einer Mischung aus ausbrechenden Vulkanen und Höllenschlünden…
Ist es der letzte Schornstein, der noch, oder der erste, der schon wieder raucht? Wer weiß das meine Herren?
(…)
Wie schön und hoch du bist, du Schornstein aus sorgsam und liebevoll gesetzten roten Backsteinen… du lässt eine lange Rauchfahne nach links und nach rechts ziehen! Du schenkst einem wirklich Lebensfreude!
Wen interessiert da noch die Umweltverschmutzung? Ich schwöre dir, wenn einer es wagt, dich zu beleidigen und zu verleumden, dem schlage ich die Schnauze ein! Lieber Schornstein, du bist das Leben, ein Sinnbild des Paradieses! (…)
Nur daran zudenken, dass man dich so heftig bekämpft hat! (…)
Jetzt aber empfinden wir Reue und dürfen dich wieder anbeten!
Hm, dieser herrliche Duft nach verbranntem Eisen! Dieser herrliche Duft nach Schwefel. Dieser herrliche Höllenduft! Dieser herrliche Duft nach Pfannkuchen!
Jetzt geht uns die Stimme aus. Eine Pilgerreise (die nach Lourdes war nichts dagegen) rund um den Schornstein mit seiner Rauchfahne findet statt. Blaue Schutzanzüge und weiße Hemden! Auf die Knie, zum Gebet!
Aus: Tommaso Di Ciaula „Die Wasser Apuliens“ (Acque sante, acque marce), S.11-12, Kappa Verl. München – Wien, 2001
Beitrag von: Robertsky